Offener Brief
Sehr geehrter Herr Kraus,
herzlichen Glückwunsch zur Wahl als Stadtschulrat der Landeshauptstadt München.
Sie übernehmen diese Aufgabe in einer Situation, die angesichts der Pandemie schwieriger nicht sein kann. Aufgrund der möglichen Verbreitung der Mutationen des Virus herrschen Unsicherheit und bange Erwartung, wie es weiter gehen wird.
Folgerichtig und zwingend wird Ihre Einstiegsphase in der LHM zunächst in der Bewältigung der Krise bestehen, in der Ihre Verantwortung für gute Bildung und gute Arbeit, Stichwort Arbeits- und Gesundheitsschutz, besondere Herausforderungen mit sich bringt.
Wir wünschen Ihnen viel Erfolg, gute Nerven und ein offenes Ohr für die Kolleg*innen, die tagtäglich ihr bestes für die Kinder und Jugendlichen geben!
Für uns gilt: Wenn KiTas und Schulen für die Kinder und Jugendlichen da sind, dann muss Politik auch für Schulen und KiTas da sein. Daher verbinden wir mit dieser Begrüßung den Wunsch und die Anregung, in Kürze einen Gedankenaustausch zu starten. Arbeitstitel könnte sein: „Stadtschulrat im Dialog mit den Beschäftigten und ihrer Gewerkschaft“.
Auf absehbare Zeit wird dieses Kennenlernen sicherlich nur als Videokonferenz möglich.
Wir beschränken uns heute neben dem aktuell drängendsten Thema „Gesundheit“ auf 4 Themen, die inhaltlich eng miteinander verzahnt sind.
I. Arbeits- und Gesundheitsschutz als oberste Priorität
Als GEW erwarten wir von der Politik endlich eine langfristige, verbindliche und an Inzidenzzahlen gekoppelte Strategie für Fern-, Wechsel- und Präsenzunterricht und einen entsprechenden Maßnahmenkatalog für Kindertages- und andere pädagogische Einrichtungen mit klaren Vorgaben für Notbetreuung und die Verkleinerung der Gruppen. Für die Beschäftigten der LHM fordern wir Sie auf, alle möglichen und notwendigen Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz für die Beschäftigten umzusetzen (z.B. ausreichend FFP2-Masken und medizinische Masken; Luftreinigungsfilter).
II. Verschärfung der sozialen Spaltung im Bildungssystem
Die vergangenen Monate haben einen Teil der Kleinkinder, Kinder und Jugendlichen sehr hart getroffen. Es sind diejenigen, die schon vor der Pandemie Schwierigkeiten hatten. Um es mit den Worten unserer DGB-Vizevorsitzenden Elke Hannack zu sagen: „Die soziale Spaltung ist die offene Wunde unseres Bildungssystems.“[1] Auch aus dem Institut der deutschen Wirtschaft kommt eine aktuelle Warnung, „dass der Kompetenzverlust bei den Kindern und Jugendlichen durch die Schulschließungen so groß ist, dass wir wieder auf das PISA-Niveau von 2000 zurückfallen könnten.“[2]
III. Es braucht einen Neustart.
Wir können nicht einfach so weitermachen wie bisher.
Wir haben mit großem Interesse im Grundsatzprogramm von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN das Kapitel 7 „In Bildung investieren“ gelesen. Und wir finden große Übereinstimmungen zu unserer GEW – Initiative „Bildung. Weiter denken!“
Sie selbst, Herr Kraus, haben in Sachen „Neustart“ dazu im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vom 07. Dezember 2020 ein erstes interessantes Signal abgegeben: „Ich halte eine gute Sozial- und Bildungspolitik für die beste Präventionspolitik.“
IV. Bevölkerungswachstum bei gleichzeitigem Fachkräftemangel in den Kitas, und Schulen
Die LHM steht „vor der Herausforderung, dass ausreichend Plätze in Kindertagesstätten und qualifiziertes Personal zur Verfügung stehen. Darüber hinaus gilt es, benachteiligte Stadtgebiete gezielt zu fördern, um Bildungsungerechtigkeiten abzubauen.“[3]
Wir fragen und mahnen: Wie soll das gelingen, wenn der Arbeitsmarkt zu den betreffenden Bereichen wie leergefegt ist? Darum fordern wir äußerste Anstrengungen der LHM zur Personalgewinnung und zum Personalerhalt an Schulen und Bildungseinrichtungen in München.
IV. gute Arbeitsbedingungen zur Steigerung der Attraktivität der Sozial- und Erziehungsberufe
Grundlegende Defizite des Bildungs-und Betreuungssystems liegen auch in der Boomstadt München offen zu Tage. Die hiesige GEW wird sich auch weiterhin mit Anregungen und Forderungen für gesunde und, attraktive Arbeitsbedingungen einbringen. Viele davon haben wir auch in Richtung LHM schon lange kommuniziert. Es braucht kurz-und langfristige Perspektiven, die Mangelsituation zu überwinden: Wir brauchen zusätzliche Räume, umfassende IT-Ausstattung für Schüler*innen, Lehr- und Erziehungskräfte, Wertschätzung durch gute Bezahlung, aber auch durch gute Arbeitsbedingungen, einen partizipativen Führungsstil und kollegiale Vorgesetzte.
Wir freuen uns auf das Kennenlernen und den Gedankenaustausch in den nächsten Wochen, gerne per Videokonferenz!
Mit GEWerkschaftlichen Grüßen
Im Namen des Vorstands der GEW München
Siri Schultze, Geschäftsführerin
[2] Prof. Dr. Axel Plünnecke, Leiter des Kompetenzfelds Bildung, Zuwanderung und Innovation des IW: https://www.iwd.de/artikel/wir-koennten-auf-das-pisa-niveau-von-2000-zurueckfallen-498363/